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Die Macht der Gedanken: Selbstreflexion als Kernkompetenz

Ich habe mich in letzter Zeit sehr viel mit einem Buch beschäftigt. Es geht darin um Jay Shetty, einen Mann, der im Laufe seines BWL-Studiums gemerkt hat, dass ihn sein Leben in dieser Form nicht erfüllt und der dann ein hinduistischer Mönch in Mumbai geworden ist. Heute ist er ein sehr bekannter Influencer und versucht das weiterzugeben, was er während dieser Zeit in Indien gelernt hat. Überraschend an diesem Buch fand ich vor allem, wie viele Dinge, die hier beschrieben werden, ganz eng mit dem zusammenhängen, was ich im Laufe meines Studiums der Sozialen Arbeit und Religionspädagogik auch gelernt habe. Dass die Selbst- und Fremdreflexion ein wesentlicher Bestandteil eines erfüllten Lebens ist und dass wir manchmal zu viel Wert darauf legen, was andere von uns denken, statt unser Leben danach auszurichten, wie es am besten zu unseren eigenen Werten und Idealen passt.

In der sozialen Arbeit geht es viel darum, einem Menschen die „Hilfe zur Selbsthilfe“ mitzugeben. Wir als Sozialarbeiter*innen können nicht alle Probleme lösen, mit denen unsere Klient*innen zu uns kommen, aber wir versuchen dahingehend zu unterstützen, bei einem Problem hinter das Offensichtliche zu blicken. Es geht darum, den Hintergrund und Ursprung zu beleuchten, also die Wurzel, aus der dieses Problem entspringt. Wenn man diese Wurzel gefunden hat, versuchen wir Wege aufzeigen, wo und wie dieses Problem vielleicht angegangen werden kann, damit es dieser Person dann besser geht. Meine Anleiterin in meinem Praktikum hat mir damals gesagt, wir Sozialarbeiter*innen sind so etwas wie Wegweiser, die versuchen zu erkennen, was für Möglichkeiten, Ressourcen und Grenzen bestehen und die unsere Klient*innen dann zu der Stelle oder Person schicken können, die die größtmögliche Chance auf Lösung oder Besserung verspricht.

Ständige Reflexion

Was hierfür immer wieder unumgänglich ist, ist jedoch eine ständige Reflexion. Wir reflektieren, was bei uns selbst passiert und wir unterstützen die Leute, die zu uns kommen, sich selbst und ihre Bedürfnisse zu reflektieren. Klar ist das nervig. Und es macht auch nicht immer Spaß. Aber am Ende kann ich erkennen, dass mein Problem vielleicht nur die Spitze von dem ist, was mich eigentlich stört. Natürlich ist das nicht immer die Lösung aller Probleme und bei der Diversität der Arbeitsfelder, in denen Sozialarbeiter*innen und Diakon*innen zu tun haben, auch nicht immer der erste Weg. Aber manchmal hilft es gerade, noch einmal mit einem anderen Blickwinkel an ein Problem heranzutreten und so auf Ausgangspunkte zu stoßen, über die ich vorher noch nie nachgedacht habe. Beschäftige ich mich nämlich immer nur mit dem Offensichtlichen, verpasse ich vielleicht die Chance, eine Gegebenheit auch nachhaltig und gänzlich zu verändern.

Das Problem dabei ist, dass wir es heute kaum noch kennen, auch einmal mit den eigenen Gedanken allein zu sein. Wir leben heute in einer Welt, in der es normal ist, ständig Ablenkung von außen zu erfahren. Shetty erzählt in seinem Buch von einer Versuchsreihe der University of Virginia und Harvard, in der Proband*innen die Aufgabe bekommen haben, sechs bis fünfzehn Minuten allein in einem Raum zu verbringen. Während dieser Zeit war keine Ablenkung durch Handys o.ä. erlaubt, es bestand aber die Möglichkeit, sich per Knopfdruck einen elektrischen Schock zu verpassen. Ergebnis: Viele der Proband*innen haben sich lieber einen (zuvor bereits erprobten und als schmerzlich empfundenen) Elektroschock versetzt, als mit sich selbst und den eigenen Gedanken allein zu sein.

Gedanken Raum geben

Letztendlich haben viele von uns verlernt, wie es eigentlich ist, den eigenen Gedanken auch einmal Raum zu geben. Ohne sich abzulenken, ohne Eindrücke von außen. Ich möchte heute dazu ermutigen, das Handy auch einmal wegzulegen und die Stille auszuhalten. Auf die Gedanken zu hören, die dann kommen. Zu ergründen, was hinter diesen steckt. Und sich so, ganz ohne Zwang, einmal selbst zu reflektieren, mitten in dieser stressigen Alltagswelt.

Unsere Fahrt nach Taizé

„And when the night is cloudy there is still a light that shines on me Shinin‘ until tomorrow, let it be“

Eine Menge Wolken und ab und an ein bisschen Sonne, die dazwischen fällt – ähnlich dem Lied von Paul McCarthy sah auch unsere Wetterlage in Taizé aus, als wir Ende Oktober eine Woche an diesem Ort verbringen durften. Gemeinsam mit einer Gruppe von rund 20 Jugendlichen aus Oldenburg und Wilhelmshaven haben wir uns dafür auf den Weg nach Frankreich gemacht, um hier (teils zum ersten Mal, teils schon als alte Bekannte) das Leben der Brüder kennenzulernen und unserem Glauben und uns selbst ein bisschen mehr auf den Grund zu gehen.

Die Communaté de Taizé ist dabei ein Ort, der erst vor knapp 70 Jahren von Frère Roger gegründet wurde, aber mittlerweile weltweit bekannt ist. Ein Ort, an dem jedes Jahr Tausende an Jugendlichen und Erwachsenen zusammenkommen, um gemeinsam zu beten, zur Ruhe zu kommen und sich von der Atmosphäre Taizés tragen zu lassen. Kerngedanke dabei: Ein einfaches Leben, möglichst wenig Ablenkung und die nötige Zeit, sich ganz auf das Miteinander, den persönlichen Glauben und sich selbst fokussieren zu können. Dass dazu allerdings auch ein eher einfaches Essen und Toiletten putzen gehört, daran mussten wir uns erst einmal gewöhnen. Ansonsten waren unsere Tage gut gefüllt mit den täglichen Taizé-Gottesdiensten, Bibeleinheiten, morgendlichen Aktivitäten oder dem „Service“, der neben dem Putzen für einzelne Kleingruppen auch kochen, Kerzen anzünden oder Liederbücher zurücksortieren bedeutete. Wer dann noch nicht müde war, der hatte stets genügend Zeit für Spaziergänge ins benachbarte Ameugny, einem Kaffee am Oyak, einer Runde Taizé-Twister oder einfach einem zur Ruhe kommen im Garten der Stille.

Was vielen dabei besonders in Erinnerung geblieben ist, das war vor allem die immer spürbare Gemeinschaft und das herzliche Miteinander, trotz der knapp 2.000 Teilnehmenden in dieser Woche. Und so war es nicht unüblich, am Ende eines Gottesdienstes noch etwas länger in der Kirche zusammenzusitzen, gemeinsam die so typischen Taizé-Lieder zu singen oder einfach ein bisschen den eigenen Gedanken nachzuhängen. Die Gottesdienste, die dabei in ihrer Liturgie an den Osterzyklus angepasst sind, boten dabei einige Überraschungen. Besonderes Highlight: Der Lichtergottesdienst am Abend in Gedenken an Karsamstag, in welchem alle zuletzt mit einer brennenden Kerze in der Hand zusammensaßen und gesungen haben. Passend dazu eines unserer Lieblings Taizé-Lieder: „Jésus le Christ, lumiere intérieure“, also „Jesus Christus, inneres Licht“.

Und auch wenn der Lichtergottesdienst für uns gleichzeitig das Ende unserer Zeit in Taizé eingeläutet hat, so fasst die Aussage dieses letzten Liedes gut zusammen, was wir alle von dieser Woche mitnehmen konnten: Denn auch „wenn die Nacht wolkig ist“, um es wieder mit McCarthys Worten zu sagen, ist dazwischen immer ein Licht, das auf mich scheint und das bei mir ist.

Kirche Tag und Nacht – WG bei „Kirche mal (wo-)anders“

Es gibt diese Momente, die eine Kollegin immer liebevoll „Pralinen-Momente der Arbeit“ nennt und genau solch einen durfte ich am Wochenende vor dem Reformationstag erleben.

Ich war mit einer kleinen Gruppe von jungen Erwachsenen unterwegs in den Niederlanden, genauer in Oosterbierum kurz vor Harlingen. Aber eben nicht irgendwo auf einem Segelschiff, sondern in einer umgebauten Kirche. Es war früher eine kleine Kirche, mitten in einem kleinen ruhigen Dorf, aber heute ist es eine Ferienwohnung. Und was für EINE!

Ich komme durch einen verwinkelten und leicht verwilderten Garten auf eine rote Tür zu, eine rote Holztür. Neben mir eine Sitzecke, Hühner und über mir grüne Blätter und Birnen. Beim Blick nach oben erahne ich schon: Hier ist ein besonderer Ort! Ich erkenne ein kleines Türmchen, hohe Fenster und sandfarbenen Backstein.
Hinter der roten Holztür dann eine kleine Halle, oder sagen wir lieber, ein Vorraum, mit einer Treppe nach oben zur Empore. Hier gibt es zwar noch eine Orgel, aber auch zwei Schlafzimmer mit einem Blick in den umgebauten Kirchraum. Und der öffnet sich hinter der Schwingtür des Vorraums.

Rechts stehe ich vor einer offenen Küche, links vor einem weiteren Schlafzimmer und der seitlichen Empore mit Sofa, Bücherregal und Fernseher. Vor mir ein langer Tisch mit Kerzenleuchter, hinter der Küche noch eine Sofaecke und dann alte Kirchenbänke. Mein Blick wandert nach vorne und ich sehe die alte Kanzel vor mir, links davon ein Billiardtisch! Ich drehe mich um: Ja! Die Orgel ist noch da und daneben die beiden Fenster zu den Schlafzimmern. Hinter der Kanzel, noch eine Tür zu den weiteren Schlafzimmern. Was für eine Kirche denke ich!

Ehrlich gesagt: Ich habe mich sofort wohl gefühlt und gespürt, dass es dem Rest der Gruppe genauso ging. Wir alle wussten, wir sind in einer Kirche, nur dass diese eben gemütlich war. Dazu passte, dass draußen an die Scheiben – dahinter befindet sich noch eine Terrasse mit einem Fahrradschuppe darunter – der Regen prasselte und der Wind an den Bäumen rüttelte. Einfach nur schön!

Ich möchte gar nicht viel mehr erzählen, ich glaube meine Beschreibung der Kirche spricht schon für sich. Nur so viel: Ich habe in dieser „Kirchen-WG“ das verlängerte Wochenende vor dem Reformationstag verbracht. Inhaltlich waren die Tage geprägt von unser aller Ideen davon, in welchen Bereichen wir die Kirche gerne reformieren würden und wie das konkret aussehen kann. Mit unterschiedlichen kreativen Methoden haben wir uns Fragen und Handlungsfeldern genähert, immer wieder inspiriert durch diesen besonderen Ort.
Wir lebten die Tage als echte WG zusammen, haben gemeinsam das Essen geplant, eingekauft, gekocht, für Ordnung gesorgt, uns eingebracht und die Zeit in der Gemeinschaft genossen. Die Tage waren lang, die Nächte für ein paar von uns vielleicht noch länger. Schließlich laden besondere Orte immer zu besondere Gespräche ein.

Ein einmaliges Wochenende mit großartigen Leuten unter dem Dach einer einzigartigen Kirche: In dieser Kirche würden wir jederzeit wieder Tag und Nacht verbringen und gerne auch wieder als echte „Kirchen-WG“!